Integrations- und Partizipationspolitik in den Bundesländern

Integrations- und Partizipationspolitik in den Bundesländern

In Großstädten fällt Migrant/innen das Ankommen immer noch leichter — Bildnachweise

In den vergangenen 15 Jahren hat sich die Zahl der Abgeordneten mit Migrationshintergrund in den Länderparlamenten mehr als verdreifacht. Viel Gestaltungsspielraum bleibt jedoch noch immer ungenutzt.

Die Migrationsforschung in Deutschland konzentriert sich auf die nationale Ebene und einzelne Kommunen; die subnationale, föderale Ebene wird weitgehend vernachlässigt. Dabei hat der Politikwissenschaftler Dietrich Thränhardt bereits vor einigen Jahren auf die Offenheit föderalistischer Systeme für Zuwanderung und auf die migrationspolitische Varianz auf Länderebene hingewiesen.[1] Und in internationale Debatten über föderale Systeme wird hervorgehoben, dass gerade die Stärkung regionaler und lokaler Verantwortung, der Schutz und die Repräsentation von Minderheiten sowie die Förderung von Engagement und Beteiligung deren zentrale Merkmale seien.[2]

Die Bundesländer sind wichtige Akteure, wenn es um die Integration und Partizipation von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte geht. Sie sind für große Bereiche des Migrations- und Integrationsmanagements zuständig und verfügen über weithin unterschätzte politische Gestaltungsmöglichkeiten. Dazu gehören:[3]

  • die Gestaltung zentraler Rahmenbedingungen wie Landesverfassung, Landesparlament, Landesverwaltung, Landeswahlgesetze. Die Länder können z.B. die Themen Integration und Teilhabe institutionell aufwerten und die interkulturelle Öffnung der Landesverwaltung vorantreiben;
  • die Zuständigkeit für den gesetzlichen Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung. Die Länder können z.B. die Einrichtung von Ausländer- und Integrationsräten in Städten, Gemeinden und Landkreisen anregen oder sogar verpflichtend regeln;
  • autonome Handlungsfelder der Länder, in denen sie über eigene Kompetenzen verfügen bzw. die nicht bundesgesetzlich geregelt sind (wie z.B. die Bildungs-, Kultur- und Engagementpolitik). Die Länder können z.B. Integration als ressortübergreifende Querschnittsaufgabe verankern und ihre Kommunen dabei unterstützen, die lokale Integrationspolitik weiter zu entwickeln;
  • Handlungsspielräume, die sich aus der Implementationshoheit der Länder ergeben. Dabei geht es sowohl um die Auslegungsspielräume in Bundesgesetzen als auch um Ausmaß und Form ihrer Umsetzung (z.B. bei Einbürgerungen oder der Verfestigung des Aufenthaltsstatus);
  • Gestaltungsmöglichkeiten bei der Umsetzung von Bundes- und EU-Programmen (z.B. bei den Bundesprogrammen gegen Rechtextremismus oder beim Städtebauförderungsprogramm „Soziale Stadt“);
  • die Mitwirkung bei Bundesgesetzen und Bundesratsinitiativen, Abstimmungs- und Kooperationsprozesse im Rahmen nationaler Integrations- und Aktionsplänen sowie in den Innenminister- und Integrationsministerkonferenzen.

Unterschiede zwischen den Bundesländern zeigen sich in der institutionellen Verankerung und den konzeptionellen Grundlagen der Integrationspolitik, der politischen Repräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund in den Landesparlamenten, der Institutionalisierung von Interessenvertretungen von Zugewanderten auf Landesebene, der Förderung des bürgerschaftlichen Engagements von Migrantinnen und Migranten, der Einbindung von und Kooperation mit Migrantenorganisationen, der Unterstützung der kommunalen Integrationspolitik durch die Landespolitik, den Regelungen in den Kommunalverfassungen der Länder zur Einrichtung von Beiräten und Ausschüssen für Migration und Integration in Kommunen sowie in einer Reihe von Themenfeldern, von der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik über die Antidiskriminierungs- und Einbürgerungspolitik bis zur Flüchtlingspolitik. An dieser Stelle mögen einige Ausführungen zur strukturellen Verankerung von Integrationspolitik, zu konzeptionellen Grundlagen der Integrationspolitik und zur politischen Repräsentation von Migrantinnen und Migranten in den Ländern genügen:[4]

Strukturelle Verankerung von Integrationspolitik: Für eine aktive und gestaltende Praxis auf Länderebene ist es wichtig, wie Integrationspolitik institutionell verankert ist. Nur ein Bundesland – Baden-Württemberg seit 2011 – hat bisher ein Ministerium eingerichtet, das ausschließlich für Integration zuständig ist. Sechs Bundesländer haben die Bezeichnung „Integration“ in den Titel ihrer Arbeits-, Sozial- oder Familienministerien aufgenommen (Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz) und damit eine politische Schwerpunktaufgabe hervorgehoben. Zwei Bundesländer haben alle Zuständigkeiten für Migration und Integration in einem Ministerium gebündelt (Schleswig-Holstein im Innenministerium und Rheinland-Pfalz im Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen). Damit ist die Möglichkeit verbessert worden, eine konsistente Integrationspolitik zu betreiben.

Mehr Repräsentation in den Stadtstaaten

Konzeptionelle Grundlagen der Integrationspolitik: Ein sichtbares Ergebnis der institutionellen Stärkung ist eine wachsende Zahl von Leitlinien, Integrationskonzepten und Aktionsplänen, die den Anspruch auf eine gestaltende Integrationspolitik der jeweiligen Bundesländer unterstreichen, auch wenn sich die Konzepte und Programme in ihrer thematischen Breite, Verbindlichkeit und finanziellen Ausstattung erheblich unterscheiden. Die größte Verbindlichkeit können die beiden Bundesländer für sich beanspruchen, die bislang Integrationsgesetze verabschiedet haben. Das Berliner „Gesetz zur Regelung von Partizipation und Integration“ vom 28. Dezember 2010 war der Vorreiter, Nordrhein-Westfalen verabschiedete am 14. Februar 2012 ein „Teilhabe- und Integrationsgesetz“. Baden-Württemberg hat im Juli 2015 einen Entwurf für ein Partizipations- und Integrationsgesetz auf den Weg gebracht, das die Teilhabechancen von Zugewanderten verbessert, die Integrationsstrukturen auf Landesebene und in den Kommunen stärkt und einen wichtigen Beitrag zur interkulturellen Öffnung der Landesverwaltung leisten soll.

Politische Repräsentation von Migrantinnen und Migranten: Seit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts im Jahre 1999 und der damit verbundenen erleichterten Einbürgerung werden Menschen mit Migrationshintergrund zunehmend im politischen Leben sichtbar. Die Zahl der Abgeordneten mit Migrationshintergrund in den Länderparlamenten hat sich seitdem mit 70 (Ende 2013) mehr als verdreifacht. Dies beruht auf einer stark gewachsenen Zahl von Einwanderern mit deutscher Staatsbürgerschaft, einem wachsenden politischen Interesse der Zugewanderten an der deutschen Innenpolitik und einer Öffnung der Parteien für Einsteiger mit Migrationsgeschichte.

Eine Aufschlüsselung nach Bundesländern macht dabei deutlich, dass die Stadtstaaten deutlich höhere Repräsentationsquoten[5] als die Flächenländer erzielen und Bremen dabei an der Spitze steht. Allerdings sind auch die Unterschiede zwischen den westdeutschen Bundesländern erheblich. Sie schwanken zwischen 35,2 Prozent (Niedersachsen) und 0 Prozent (Saarland). Wichtige Impulse für die politische Inklusion von Zugewanderten gingen von den Grünen aus. Sie sind der eigentliche, auch programmatische Motor dieser Entwicklung gewesen: Ende 2013 wiesen immerhin 8,6 Prozent der Landtagsabgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen einen Migrationshintergrund auf. Die Partei stellte damit zu diesem Zeitpunkt fast ein Drittel aller bundesdeutschen Landtagsabgeordneten mit Migrationshintergrund.

Abbildung 1: Abgeordnete mit und ohne Migrationshintergrund in Länderparlamenten nach ausgewählten Parteien (Ende 2013)

* einschließlich andere Parteien. / Quelle: Dr. Andreas M. Wüst, Mannheimer Zentrum für Empirische Sozialforschung, Mail vom 31.10.2014, eigene Recherchen); eigene Darstellung; siehe auch Gesemann/Roth 2015, S. 81 (Fn. 3). — Bildnachweise

Macht Grün einen Unterschied?

Seit der Bürgerschaftswahl in Hamburg im Februar 2015 und der Bildung einer Koalition mit der SPD sind Bündnis 90/Die Grünen in nunmehr neun Landesregierungen vertreten, sechsmal unter Führung der SPD sowie je einmal unter der Führung von CDU und Linken. In Baden-Württemberg stellt die Partei seit Mai 2011 mit Winfried Kretschmann den Ministerpräsidenten. In drei Bundesländern stellen die Grünen die/den für Integration verantwortliche/n Minister/in bzw. Senator/in (Bremen, Rheinland-Pfalz, Thüringen); in Hessen sind sie durch einen Staatssekretär und Bevollmächtigten für Integration und Antidiskriminierung im Ministerium für Soziales und Integration und in Baden-Württemberg durch eine Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung hochrangig vertreten.

Hinweise auf länderspezifische Akzent- und Schwerpunktsetzungen finden sich insbesondere in den jeweiligen Koalitionsvereinbarungen:[6]

  • In Baden-Württemberg sollen Chancen einer aktiven Integrationspolitik im Kontext eines sich als weltoffen verstehenden Landes eröffnet werden. Angestrebt werden dabei insbesondere eine Neuausrichtung der Integrationspolitik, die ihren Ausdruck in einem Partizipations- und Integrationsgesetz finden soll, eine Öffnung des öffentlichen Dienstes für Migrantinnen und Migranten, die Erleichterung von Einbürgerungen sowie eine Verbesserung der Lebenssituation von Flüchtlingen und Asylbewerbern.
  • In Bremen wird die Integration und Teilhabe von Migrantinnen und Migranten nicht nur in den Ausführungen zum Themenfeld Flüchtlinge und Integration, sondern als Querschnittthema angesprochen. Hervorgehoben werden kann, dass eine „Willkommenskultur für Einwanderer und Flüchtlinge“ in den Quartieren etabliert, Flüchtlingen eine Perspektive im Gemeinwesen eröffnet sowie die gesellschaftliche Teilhabe von Muslimen und die Einbindung ihrer Organisationen in das öffentliche Leben weiter vorangetrieben werden sollen.
  • In Hessen stehen im Themenfeld Migration und Integration Willkommens- und Anerkennungskultur, Integration durch Bildung und Ausbildung, interkulturelle Öffnung sowie Asyl- und Flüchtlingspolitik im Zentrum der Koalitionsvereinbarung. Angestrebt werden u.a. eine Stärkung der Hessischen Integrationskonferenz als Beratungsgremium der Landesregierung, die Erstellung eines Integrationsplans mit Integrationsverträgen zwischen Land und zivilgesellschaftlichen Gruppen sowie die Entwicklung einer Antidiskriminierungsstrategie und die Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle.
  • In Rheinland-Pfalz wird das Thema der Integration und Partizipation von Migrantinnen und Migranten in den Kontext der Stärkung von demokratischer Teilhabe, Bürgerbeteiligung, Unterstützung von freiwilligem Engagement, Antidiskriminierungsmaßnahmen, Förderung von Sinti und Roma sowie Gleichstellung von Lesben und Schwulen gestellt. Neben dieser Verknüpfung der Themenfelder demokratische Teilhabe, Engagement und Vielfalt ist vor allem die Bündelung von Aktivitäten der Landesregierung im Rahmen einer Antidiskriminierungsstelle hervorzuheben.
  • In Thüringen werden im Rahmen einer „menschenrechtsorientierten Flüchtlings- und Integrationspolitik“ u.a. ein Flüchtlingsgipfel, die Erarbeitung eines langfristigen Konzepts für die Unterbringung und Aufnahme von Flüchtlingen, die Finanzierung kommunaler Integrations- und Aufnahmekonzepte, eine Neuzuordnung der Integrations- und Migrationspolitik, die Neufassung der Kompetenzen des/der künftigen Beauftragten für Integration, Migration und Flüchtlinge, die Erweiterung der Kompetenzen des Integrationsbeirats sowie die Forcierung einer aktiven Einwanderungspolitik angestrebt.

Eine Aufbruch- und Reformstimmung spiegelt sich insbesondere in den Koalitionsvereinbarungen von Ländern wie Baden-Württemberg, Niedersachsen, Hessen und Thüringen wider, in denen neue politische Mehrheiten auch neue Gestaltungsmöglichkeiten und die Beseitigung von Blockaden in der Integrations-, Antidiskriminierungs- und Flüchtlingspolitik eröffnen.

Eine Umfrage bei Landesverbänden von Bündnis 90/Die Grünen[7] zeigt, dass in der laufenden Legislaturperiode vor allem Vorhaben in der Flüchtlingspolitik wie die Novellierung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes, die Verbesserung der Situation in den Erstaufnahmeeinrichtungen, die Sicherstellung psychosozialer therapeutischer Behandlungsangebote, die Abschaffung der Residenzpflicht, die Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs sowie die Verbesserung und Veränderungen der Abschiebepraxis umgesetzt werden konnten.

In der Integrationspolitik wird insbesondere auf Initiativen zur interkulturellen Öffnung der Landesverwaltung, die Aufwertung von Beratungs-, Beteiligungs- und Vertretungsgremien auf Landesebene, Maßnahmen zur Unterstützung der kommunalen Integrationspolitik, Initiativen zur erleichterten Anerkennung von ausländischen Abschlüssen sowie zur Förderung der Einbürgerung verwiesen. Hervorgehoben werden aber auch institutionelle Reformen wie die Zusammenfassung der Bereiche Integration, Ausländerrecht und Flüchtlingsaufnahme in einem Ministerium (Rheinland-Pfalz), eine veränderte Zuordnung der Migrations- und Integrationspolitik und die Neufassung der Aufgaben des Integrationsbeauftragten (Thüringen).

 

[1]         Dietrich Thränhardt 2001: Zuwanderungs- und Integrationspolitik in föderalistischen Ländern. In: Lale Akgün/Dietrich Thränhardt (Hrsg.): Integrationspolitik in föderalistischen Systemen. Münster: LIT, S. 15-33.

[2]         Vgl. Michel Seymour/Alain G. Gagnon (Hrsg.) 2012: Multinational Federalism: Problems and Prospects. Basingstoke: Palgrave Macmillan.

[3]         Frank Gesemann/Roland Roth 2015: Integration ist (auch) Ländersache. Schritte zur politischen Inklusion von Migrantinnen und Migranten in den Bundesländern. 2. Vollständig überarbeitete, korrigierte und erweiterte Auflage. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung, Forum Berlin, S. 22ff.

[4]      Siehe hierzu ausführlicher Frank Gesemann/Roland Roth 2015: Integration ist (auch) Ländersache (Fn. 3).

[5]      Eine Repräsentationsquote von 100 Prozent ist dann gegeben, wenn der Anteil der Abgeordneten mit Migrationshintergrund dem Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in der Bevölkerung entspricht.

[6]      Die nachfolgende Auswahl beschränkt sich auf die Länder, in denen die Grünen den Ministerpräsidenten oder eine/n für Integration verantwortliche/n Minister/in, Senator/in oder Staatsekretär/in stellen.

[7]         Antworten auf meine Anfrage vom 07. Juni 2015 liegen aus den Landesverbänden von Bündnis 90/Die Grünen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen vor. 

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