Für die Belebung von Demokratie kann Politik auf Länderebene viel gestalten. Mittlerweile gibt es bündnisgrüne Regierungsbeteiligungen in sieben - mit Hamburg sogar acht - Ländern. Wie viel nimmt sich Grün in Landesregierungen vor? Was gelingt und wo hakt es? Einführung in eine Untersuchung.
In den letzten Jahren ist das Thema „Innovationen in der repräsentativen Demokratie“ neu in den Vordergrund getreten. Verdruss richtet sich nicht gegen die Demokratie als Idee und Grundwert, sondern gegen Verfahren und Gepflogenheiten, die politische Entscheidungen vermachten, monopolisieren, intransparent zustande kommen lassen und sie am Ende gar als „alternativlos“ präsentieren. Das führt zu dem Gefühl, „die Politik“ interessiere sich zu wenig für Meinungen, für Vor-Ort-Probleme und Lösungsvorschläge des Wahlvolks.
Dass die Zahl der Nichtwähler/innen wächst, ebenso wie die Zahl der Eigeninitiativen und Beteiligungsbegehren in unterschiedlichsten Formen, ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass die klassisch-tradierten Formen der repräsentativen Parteiendemokratie vielen nicht mehr genügen. Gefragt sind Beispiele guter Praxis, wie mehr Beteiligungsmöglichkeiten in Parlamenten und politischen Parteien, in den verschiedenen politischen Ebenen und gesellschaftlichen Bereichen geschaffen werden können, die das repräsentative System vitalisieren und stärken und die Bürger/innen in ihrer Vielfalt integrieren.
Anfang 2013 stellte die Heinrich-Böll-Stiftung die Studie „Demokratiereformen auf Länderebene“ vor. Sie fragte nach Möglichkeiten der Landespolitik, Felder und Prozesse für Partizipation und dialogische Politikformen zu öffnen und Beteiligung und Teilhabe zu befördern. Die Bundesländer spielen dabei eine besondere Rolle: Sie sind näher an den Bürger/innen als die Bundes- und EU-Ebene und verfügen über eine Palette eigener Handlungsmöglichkeiten. Sie haben die Kommunalaufsicht inne und damit die Chance, politischer Beteiligung vor Ort neue Möglichkeiten zu eröffnen.
Was wollen die acht grünen Landesregierungen erreichen?
Mittlerweile gibt es bündnisgrüne Regierungsbeteiligungen in acht – mit Hamburg sogar neun – Ländern! Daher gehen wir im Rahmen des gemeinsamen Projekts der Böll-Stiftungen „Gut vertreten? Update für Demokratie!“ nun einen nächsten Schritt und fragen nach, wie Landesregierungen mit grüner Beteiligung diese Handlungsfelder nutzen, welche Themen angegangen werden und welche Erfahrungen damit gemacht werden: Welche Projekte und Politikfelder haben sie sich vorgenommen und was wollen sie erreichen? Wie weit sind mögliche Reformen bereits umgesetzt, was sind die Hindernisse und Herausforderungen, die sich im Prozess der Realisierung stellen? Politisch Aktive und Wissenschaftler/innen kommen zu Wort und beschreiben Erfolge, Effekte, Konflikte und Aussichten der Demokratie- und Beteiligungsansätze.
Damit fragen wir zugleich danach, in welchem Umfang und wie das Thema „Gut vertreten? Update für Demokratie!“ der Heinrich-Böll-Stiftungen eigentlich in der bündnisgrünen Politik programmatisch vorkommt. Auf welchen Debattenbedarf, auf welche Konflikte und auch: auf welchen Bedarf an Know how treffen wir als grünnahe politische Bildner/innen in diesem Themenfeld? Was können wir anbieten?
Die Beiträge in diesem Online-Dossier setzen unterschiedlich an:
- Wir haben grüne Politiker/innen nach ihrer Meinung und Kommentaren zum Thema gefragt.
- Die Länderberichte über die Bundesländer mit grüner Regierungsbeteiligung fragen kritisch nach den demokratiepolitischen Ambitionen und Aktivitäten der Landespolitik.
- Kurze Fallstudien skizzieren die Politikfelder, in denen Länder demokratiepolitisch handeln können: Kommunalverfassungen und Transparenzgesetzgebung, Förderung der politischen Inklusion migrantischer Bevölkerung, demokratische Schulpolitik, Regelungen für bürgerschaftliches Engagement oder Landesprogramme zur Toleranzförderung ebenso wie Polizeigesetzgebung.
- In Debattenbeiträgen untersuchen wir übergeordnete Fragen: Welche Chancen bietet der Föderalismus für Demokratiereformen? Vor welchen Herausforderungen steht die elektronisch gestützte Bürgerbeteiligung? Was kann getan werden, um die soziale Spaltung der Demokratie zu bekämpfen?
Bündnis 90/Die Grünen, selber geboren aus Initiativen, Protesten und Selbstorganisationen, sind heute eine etablierte Partei – die aber programmatisch den Anspruch vertreten, die Demokratie zu verbessern. Nach diesem hohen Anspruch fragen die Beiträge in diesem Online-Dossier, die wir anschließend auch in einer Publikation zusammenfassen werden.
Wir wünschen uns Ihre Rückmeldungen, Ergänzungen und Widersprüche zu unseren Einwürfen. Und wir hoffen, Impulse für lebhafte demokratisch-innovative Bewegung in den Bundesländern zu geben.
2 Kommentare
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23. Mai 2015
Petra Kießling
natürlich ist die Böllstiftung an die Grünen gekoppelt und ich will hier keine generelle Kritik an deren Arbeit loswerden, dass kann ich gar nicht, dazu weiß ich zu wenig. Dennoch möchte ich feststellen, dass ich bis heute auf den Moment warte, an dem Geldgeber, die immer wieder betonen, dass es ihnen ernst ist mit der Demokratie, wissenschaftliche vs politische Bildung frei und unzensiert fördern. ein Heinrich Böll, dessen Name diese Stiftung trägt, wäre über diese Form der parteipolitischen Unterwerfung und Konformität entsetzt.
27. Mai 2015
Anne Ulrich
Liebe Petra Kießling,
schön, dass Sie unser aktuelles Dossier "Demokratiereformen auf Länderebene" durchstöbern! Ich hoffe, Sie lesen noch weiter: Hier geht es nicht um Parteipropaganda, sondern um zwei durchaus kritische Fragen:
1. Wo können eigentlich die Bundesländer Politikfelder so gestalten, dass dadurch mehr Teilhabe für mehr Menschen möglich wird? und 2. die Frage: Machen Grüne sich das eigentlich zur Aufgabe, dort, wo sie an Regierungen beteiligt sind? Diese Frage ist nun wirklich keine "Unterwerfung", sondern eine durchaus skeptische Analyse der Arbeit einer regierenden Partei. - Ich hoffe, Kollege Böll wäre einverstanden damit, dass wir dazu einladen, Handlungsmöglichkeiten von Politik kritisch auszuleuchten - als politische Bildungsagentur im grünen Umfeld, die wir sind.
Also, weiterlesen und gern diskutieren, es lohnt sich! Herzliche Grüße, Anne Ulrich