Willkommen in Heidelberg!? Was Geflüchtete, Flüchtlingshilfe und Bürger/innen brauchen

Willkommen in Heidelberg!? Was Geflüchtete, Flüchtlingshilfe und Bürger/innen brauchen

Heidelberg wird in den kommenden Jahren deutlich mehr Flüchtlinge aufnehmen — Bildnachweise

Auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg berieten im Dezember 2015 Ehrenamtliche und Hauptamtliche der Flüchtlingshilfe an runden Tischen, wie die Zusammenarbeit und das Zusammenleben in Heidelberg verbessert werden können. Im Folgenden fassen wir die Ergebnisse zusammen - die auch über die Stadt hinaus hilfreich sein können.

In Heidelberg selbst leben bis heute 500 Geflüchtete. Außerhalb, zwischen Autobahn und Feldern, waren in ehemaligen US-Kasernen (Patrick Henry Village, kurz PHV) in der 2. Jahreshälfte 2015 bis zu 5.500 Menschen untergebracht, nachdem dort die zentrale Registrierstelle für Baden-Württemberg ausgebaut wurde.

Im Sommer 2015, als die Zahl der Geflüchteten täglich stieg, gab es noch kein WLAN, keine Shuttlebusse in die Stadt und die BAMF-Prozedur dauerte noch lange. Daher machten sich die Geflüchteten in Kolonnen zu Fuß in den nächstgelegenen, zwei Kilometer entfernten Stadtteil Kirchheim auf. Diese Situation führte zu Konflikten und Verunsicherung in der Bevölkerung.

Die Stadt lehnte eine Verantwortung für die Landes-Registrierstelle ab und die Landesintegrationsministerin agierte äußerst unglücklich bei der ersten überfüllten, emotionsgeladenen Bürger/innenversammlung. Ministerpräsident Kretschmann sah sich gezwungen, selbst zu kommen und Lösungen zusagen. Die Bürger/innenversammlung war auch die Geburtsstunde der Bürgerinitiative „Kirchheim sagt Ja“, die seither vorbildliche Arbeit macht, regelmäßige Bürgersprechstunden abhält, Ärger und Sorgen aufgreift und nach schnellen, konkreten Lösungen sucht - bevor sich Gerüchte verbreiten können.

Podiumsgespräch: Willkommen in Heidelberg?!

Mit dem Rückgang der Flüchtlinge, die Deutschland erreichen, ging auch die Zahl der Geflüchteten im PHV im Frühjahr 2016 auf 1.500 Personen zurück. Heute sind die Geflüchteten dort inzwischen nur für einige Tage zur Registrierung, Gesundheitsuntersuchung und Asylantragstellung; anschließend kommen sie in Erstaufnahmeeinrichtungen in die Kommunen.

Heidelberg wird in den kommenden Jahren in der kommunalen Anschlussunterbringung deutlich mehr Flüchtlinge aufnehmen. Daher besteht jetzt die Chance und die Notwendigkeit, vorausschauend die Voraussetzung für ein gelingendes Miteinander zu schaffen. Die Diskussionsergebnisse der Tagung im Einzelnen:

Vorschläge an die Stadt

Koordination und Qualifizierung von Ehrenamt

Die Koordination des ehrenamtlichen Engagements braucht Verstärkung: Angebote und Anfragen bleiben unbeantwortet, Ideen verpuffen; verbreitet entstand der Eindruck, weiteres Engagement sei nicht nötig oder nicht erwünscht. Da in absehbarer Zeit zahlreiche Geflüchtete für die Anschluss­unterbringung neu nach Heidelberg kommen, ist die personelle Verstärkung für Koordination und Qualifizierung notwendig. Unsere Vorschläge:

  • Finanzierung einer zentralen Anlauf-, Informations- und Koordinierungsstelle, die Bereitschaft, Kompetenzen, zeitliche Verfügbarkeit und Sprachkenntnisse abfragen und jetzt aktiv auf die Personen zugehen, die auf den Wartelisten erfasst sind. Möglicherweise könnte sich auch die Bürgerstiftung bei der Finanzierung der zentralen Anlaufstelle einbringen.
  • Regelmäßiger Informationsaustausch zwischen Stadt, Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen.
  • Qualifizierungsangebote für Ehrenamtliche: Anleitung und Einarbeitung, interkulturelle Kompetenz, Fähigkeiten für einen konstruktiven Umgang mit interkulturellen Konflikten und Supervision.

Internet-Plattform

Mit Cordial Commons wird derzeit ehrenamtlich eine öffentliche Internetplattform aufgebaut, die Informationen über Ansprechpersonen von Stadt, Freien Trägern, Initiativen, Ansprechpersonen für die Stadtteile, Projekte bereitstellen und eine zeitnahe Vermittlung von Bedarf und Angebot an Sachspenden und ehrenamtlicher Hilfe (z.B. Dolmetscher/innen, interkulturelle Kompetenzen, Kinderbetreuung, Aktivitäten für Kinder, etc) vereinfachen soll. Diese Plattform bietet sich als zentrale Plattform an und wird umso besser, je mehr sie genutzt wird.

  • Einspeisen und Pflegen und bekannt machen von Cordial Commons als zentraler Informationsplattform mit den die Stadt betreffenden Informationen durch die Stadt.

Spracherwerb und Lernbegleitung

  • Einrichtung eines Runden Tisches zu Spracherwerb und Lernbegleitung mit dem Ziel der Information, Abstimmung und Vernetzung professioneller und ehrenamtlicher Angebote sowie eine didaktische Basisqualifizierung für Ehrenamtliche.
  • Der Einsatz von Ehrenamtlichen darf nicht zum Ersatz bzw. einer Schlechterstellung von bereits nicht gut bezahlten und häufig befristet beschäftigten Sprachlehrer/innen gehen.
  • Bereitstellung übersichtlicher Informationen über Sprachkurse, Träger, Abschlüsse, berufsbegleitenden Spracherwerb, Zugangs- und Anspruchsberechtigung, etc. (z.B. auf Cordial Commons).
  • Trägerübergreifende einheitliche Eingangsprüfungen.
  • Vermittlung von Kulturwissen mit Sprachlernen von Anfang an.

Integration in und durch Arbeit

Im Bereich Berufsausbildung und Arbeitsmarktintegration gibt es Parallelstrukturen durch unterschiedliche Akteure. Damit Integration durch Beschäftigung erfolgreich sein kann, gilt es jetzt Strukturen vor Ort aufzubauen.

  • Weiterentwicklung eines Runden Tisches für die Akteur/innen wie Jobcenter, Agentur für Arbeit, IHK, Handwerkskammer, freie Träger, Initiativen, etc. mit dem Ziel, die Zusammenarbeit zu vertiefen, Angebote abzustimmen und Qualifizierung und zeitnahe Information über gesetzliche Grundlagen zu gewährleisten. Es besteht dringender Bedarf an Schulungen hinsichtlich der rechtlichen Situationen, Aufenthaltsrecht, Finanzierung, etc. Dieser Runde Tisch sollte im zweiten Schritt auf Arbeitgeber/innen in und um Heidelberg zugehen.
  • Ermessensspielräume ausschöpfen bei der Anerkennung vorhandener Berufsausbildungen und -erfahrungen und niedrigschwellige Wege für Nicht- und Gering-Qualifizierte in Beschäftigung ermöglichen.

Geflüchtete einbeziehen

  • Geflüchtete sollten auch als Mitwirkende mitgedacht und einbezogen werden beispielsweise bei der Kinderbetreuung, Lernbegleitung von Kindern (sofern es um fachliches Lernen geht), bei der medizinischen Versorgung, bei Hausmeisterhilfstätigkeiten, Essensversorgung, grundsätzlich bei der Entwicklung bedarfsgerechter Angebote, etc.
  • Interkulturelle Kompetenz gemeinsam mit Flüchtlingen entwickeln; auch sie sind Kulturvermittler/innen.
  • Wahl von Ansprech- bzw. Ombudspersonen in den Heimen durch die Bewohner/innen; darunter sollte mindestens eine weibliche Ansprechperson sein.

Information der Bevölkerung und Begegnungsmöglichkeiten

  • Fortführung von Informationsveranstaltungen durch die Stadt, sowohl für die breite Bevölkerung als auch zielgruppenspezifisch beispielsweise für potenzielle Vermieter/innen oder Arbeitgeber/innen zu gesetzlichen Grundlagen, Abläufen und Ansprechpersonen.
  • Regelmäßige Gesprächsangebote für Bürger/innen und Flüchtlinge in den Stadtteilen; sei es durch eine Unterstützung von Stadtteilinitiativen, die diese Aufgabe wahrnehmen, sei es durch ehrenamtliche Ombudspersonen in den Stadtteilen. Von „Kirchheim sagt Ja“ lässt sich lernen, dass Reibungspunkte und Konflikte konstruktiv angegangen werden können, wenn sie frühzeitig erkannt werden.
  • Regelmäßiger Kontakt der Stadtteilinitiativen mit der Stadt und Unterstützung der Vernetzung untereinander.

Räumlichkeiten

  • Räume zur kostenfreien Nutzung für Initiativen und eine Ansprechperson der Stadt für Raumvermittlung.
  • Begegnungsorte in den Stadtteilen für Bevölkerung und Flüchtlinge wie auch für Geflüchtete untereinander.
  • Gemeinschaftsräume in den Heimen (auch für Lernunterstützung, etc.).
Vorschläge an das Land
  • Finanzielle Förderung von Sprachkursen bis einschließlich Level B2. Für eine Ausbildung ist Level B2 vorgeschrieben; die Finanzierungslücke ist eine große Hürde bei der Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt.
Vorschläge an die Leitung des Landes-Registrierzentrums
  • Zugang für Ehrenamtliche erleichtern.
  • Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Ehrenamtlichen, der PHV-Verwaltung und Hauptamtlichen verbessern, Helfer/innen vernetzen, Erfahrungen weitergeben.
  • Sozialräume bereitstellen (weshalb nicht im ehemaligen Burger King?) z.B. für Sprachunterricht, Kinderbetreuung und Spielaktivitäten mit Kindern, aber auch einfach für Unterhaltungsangebote gegen Langeweile, Frust und Eskalation.
  • Ausbau von Information und Beratung für Flüchtlinge zu Verfahren, was hilft Spannungen abzubauen. 

 

Verwandte Inhalte

  • Mit mehr Teilhabe gegen den Rassismus

    Im Kampf gegen Rechtsextremismus unterstützt der Bund seit 14 Jahren Programme zur Förderung der demokratischen Kultur. Mit dem Vorreiter Berlin können die Bundesländer mit grüner Regierungsbeteiligung bisher nicht mithalten.

    By Swantje Tobiassen
  • Macht Grün den Unterschied? Demokratiereformen auf Länderebene

    Für die Belebung von Demokratie kann Politik auf Länderebene viel gestalten. Mittlerweile gibt es bündnisgrüne Regierungsbeteiligungen in acht - mit Hamburg sogar neun - Ländern. Wie viel nimmt sich Grün in diesen Landesregierungen vor? Was gelingt und wo hakt es? Eine Untersuchung.

0 Kommentare

Neuen Kommentar schreiben

Neuen Kommentar schreiben