Zwischen Beteiligungswünschen und Steuerungsaufgaben

Zwischen Beteiligungswünschen und Steuerungsaufgaben

Der Mitgliederschwund von Parteien geht weiter. Doch wer ihn alleine durch den Ausbau innerparteilicher Partizipation aufhalten will, ignoriert ein organisatorisches Grundproblem.

Parteien haben in der öffentlichen Wahrnehmung keinen besonders guten Ruf. Kaum einer staatlichen oder staatsnahen Institution oder Organisation wird von der Bevölkerung so wenig Vertrauen entgegengebracht wie ihnen. Nur rund 23 Prozent der Deutschen vertrauen den Parteien – sie gelten als undemokratisch, korrupt und mit den aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen überfordert.

Die normative Kritik wird durch zwei handfeste empirische Entwicklungen begleitet, die den etablierten Parteien schwer zu schaffen machen – stetig schwindenden Mitgliederzahlen und dem Rückgang der Wahlbeteiligung. Unabhängig davon, ob man dies als Krise oder als normalen gesellschaftlichen (Veränderungs-)Prozess beurteilt, entsteht für Parteien ein Handlungsdruck, auf den sie reagieren müssen: Organisationsintern führen rückläufige Mitgliederzahlen zu geminderten Beitragseinnahmen. Darüber hinaus werden die Parteien durch die Auszehrung der Mitgliedschaft in eine Nachwuchsfalle getrieben und es gibt zunehmend Probleme bei der Qualität der Besetzungen von Ämtern und Funktionen. Der Mobilisierungsgrad fällt und die Kapazitäten im Politikformulierungsprozess reduzieren sich.

In der Außenwahrnehmung kommt es durch die schwindende öffentliche Akzeptanz zu einem Legitimations- und Vertrauensverlust, der sich in Verbindung mit der sinkenden Wahlbeteiligung noch vergrößert. Dies birgt massive organisationale Risiken, denn so liegen Wahlsiege und Niederlagen näher beieinander und die Konkurrenz zu anderen Parteien steigt.

Die Parteien konzentrieren sich in ihren Reaktionen auf den Versuch, den Mitgliederschwund zu stoppen. Dabei lassen sie sich von der Annahme leiten, dass fehlende Mitbestimmungsmöglichkeiten ein wesentlicher Grund für die mangelnde Attraktivität einer Mitgliedschaft sind. Dies entspricht sowohl der Standardantwort der Parteienforschung als auch den Ergebnissen repräsentativer Umfragen. Durch die Demokratisierung innerparteilicher Verfahren und den Ausbau von Partizipationsmöglichkeiten versuchen sie auf den stetigen Verlust zu reagieren.

Parteien als Unternehmen

Die Anstrengungen zeigen in der Praxis jedoch keine große Wirkung. Möglichkeiten wie Mitgliederbefragungen oder spezielle Angebote für Nicht-Mitglieder werden nur selten genutzt. Eine partizipative Revolution ist bisher ausgeblieben und der Rückgang der Zahlen hält stetig an.

Im Gegensatz dazu steht die Beobachtung, dass die Reformen im Bereich der Professionalisierung – wie die Verbesserung externer Kommunikationsstrukturen, gezielte Kampagnen in Wahlkämpfen und Veränderungen in den Führungsstrukturen organisationswirksam werden und zu einer Stärkung und Re-Zentralisierung der Bundesparteien führen. “Das unternehmerische Denken als leitendes Paradigma der Gegenwart ist in den Parteien […] angekommen, und zwar unabhängig der politischen Verortung. Von der Linken bis zur CSU, überall findet sich das Leitbild, Parteiorganisationen bzw. –apparate wie Unternehmen zu führen” [1]

Die damit zusammenhängende Zielverschiebung – elektoraler Erfolg statt Partizipation – ist offensichtlich und offenbart einen Widerspruch zwischen strategisch-effizienter Steuerung auf der einen Seite und partizipativ orientiertem Handeln und Selbstverständnis auf der anderen Seite. So essentiell strategische Entscheidungen im täglichen politischen Prozess sind, so wenig demokratisierbar sind sie gleichzeitig.

Dies macht ein Grundproblem der Steuerung von Organisationen deutlich, das sich sowohl dem Management als auch der Beratung stellt: Kommt man den Partizipationswünschen in der Organisation entgegen, so relativiert man die Effizienz einer wirksamen, zeitnahen und situationsangepassten Steuerung. Der Umgang mit widersprüchlichen internen und externen Anforderungen stellt eine ständige Herausforderung für Parteien dar.

Wie aber gehen sie in der Praxis damit um? Lenkt man den Blick auf die skizzierte Ausgangslage, so fällt eine reflexhafte Verteidigung des Modells der Mitgliederpartei auf. Die Infragestellung des traditionellen Organisationsmodells durch die beschriebenen Entwicklungen scheint Befürchtungen und Ängste auszulösen, die in der Folge zu teilweise aktionistischen Reaktionen führen und durch den Versuch gekennzeichnet sind, die auftretenden Probleme durch eine reine Ausweitung partizipativer Möglichkeiten zu lösen.

Die Ursachen bleiben bestehen

Diese überhastet anmutende Reaktion lässt die Möglichkeiten einer ausführlichen Diagnose der Problematik ungenutzt. So wird die Frage, was hinter dem Wunsch nach mehr Partizipation steht, erst gar nicht gestellt: Ist es tatsächlich das Bedürfnis, ständig mitentscheiden zu können? Oder geht es auch um einen internen Kommunikationsstil, der übermäßig ritualisiert scheint, sowie einer Haltung auf Seiten der Parteiführung, die normativ fest fixierte Mitglieder und reflexive Debatten zu bestimmten Inhalten im professionellen Politikbetrieb eher als störend, denn als bereichernd empfindet?

Die einseitig orientierten Aktivitäten verhindern des Weiteren eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie erweiterte Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Praxis vor dem Hintergrund der strategischen Handlungsnotwendigkeiten funktionieren und wie damit zusammenhängende Konflikte konstruktiv gelöst werden könnten. Ein Beispiel aus dem vergangenen Bundestagswahlkampf, das diesen Konflikt illustriert, ist der Wunsch des damaligen Kanzlerkandidaten der SPD Peer Steinbrück nach mehr “Beinfreiheit”, der von Teilen der Basis durchaus argwöhnisch aufgenommen wurde.

Der Glaube, durch Zugeständnisse auf der einen Seite des Widerspruchs in Form von erweiterten Partizipationsangeboten diesen auflösen und beseitigen zu können, verhindert die Suche nach passenden Steuerungsmodellen. In der Folge sind die Parteien beständig damit beschäftigt, Symptome zu kurieren, während die eigentlichen Ursachen weiter bestehen bleiben.

Die dargestellte Problematik findet sich auf allen Ebenen einer Partei – vom Ortsverein bis zur Bundesebene – und stellt dementsprechend auch eine Steuerungsaufgabe für Aktive der unterschiedlichen Ebenen dar.

Die Beratung von einzelnen Organisationseinheiten, Aktiven und parteiinternen Führungskräften steht deshalb vor verschiedenen Herausforderungen: Sie muss einer Organisationsform, die auf Grund der permanenten medialen Beobachtung unter ständigem Handlungs- und Reaktionsdruck steht, eine Arbeitsweise zuzumuten, in der die Reflexion und Analyse im Mittelpunkt steht. Dies allein ist bereits eine einschneidende Intervention, die alle Beteiligten fordert. Im Prozess müssen außerdem kreative und flexible Modelle zum Umgang mit dem Spannungsfeld Strategie versus Partizipation gefunden werden, die sowohl zu Regierungs- als auch zu Oppositionszeiten tragen.

 

[1] Vgl. Bukow, Sebastian: Parteiorganisationsreformen als Mythos? Papier für die Jahrestagung der DVPW (2007) S.3

Verwandte Inhalte

  • Pecha Kucha: Kritik und Zukunft der Parteien

    In je einem Kurvortrag mit 20 Folien à 20 Sekunden umreißen Julia Schramm, Merle Stöver, Kristina Kämpfer, Elisa Gutsche und Dennis Grieser ausgehend von ihren eigenen Erfahrungen die Rolle der Partei.

  • Demokratie: In Zukunft ohne Parteien?

    Erleben wir in Zukunft mehr Debatten und Volksentscheide statt Parteien und Parlamente? Eine Diskussion mit dem Politikwissenschaftler Gary S. Schaal, dem ehemaligen Landesvorstand der Grünen, Bastian Bergerhoff und den Soziologinnen Sigrid Roßteutscher und Jasmin Siri.

  • Entscheidend ist die Fähigkeit zur Kompromissbildung

    Absenkung der Quoren bei Bürger- und Volksentscheiden, Beteiligung nach "Stuttgart 21", Flüchtlingsarbeit: Eine vorläufige Bilanz, wie Grün-Rot in Baden-Württemberg direkte Demokratie weiterentwickelt und die Zivilgesellschaft gestärkt hat.

    By Gisela Erler

0 Kommentare

Neuen Kommentar schreiben

Neuen Kommentar schreiben