Viele Verwaltungen denken, sie müssten die Bürger/innen beteiligen, weil das gerade en vogue ist. Doch ein Mehr an Mitsprache bedeutet nicht automatisch ein Mehr an Qualität. Und häufig kommt das Engagement erst in Gang, wenn der Bagger schon vor der Tür steht.
Bürgerbeteiligung ist ein großes Feld. Daher kann es die Bürgerbeteiligung auch gar nicht geben. Wenn man sich verschiedene Bürgerbeteiligungsprozesse ansieht, ist zunächst eine grobe Annäherung anhand der W-Fragen äußerst hilfreich, um eine gewisse Struktur und Systematik von unterschiedlichen Beteiligungsprozessen zu erlangen. Wer? Wann? Was? Wieso? Weshalb? Was ist eigentlich gemeint? Was ist Bürgerbeteiligung und was verbinden wir damit?
Auf der einen Seite wäre vieles vielleicht einfacher, wenn wir uns nicht die ganze Zeit beteiligen müssten. Auf der anderen Seite ist das Recht mitzureden aber auch ein Grundpfeiler unserer Demokratie. Dabei wird in einer zunehmenden Beteiligungsintensität immer auch ein Wandel des Staatsverständnisses gesehen: Der Staat bzw. die Kommune kann nicht mehr alle Aufgaben und Rollen selbst übernehmen, sodass neue Akteure – beispielsweise aus der Wirtschaft oder Zivilgesellschaft – hinzukommen und sich engagieren. So werden Aufgaben der Stadtentwicklung und -planung, die vielleicht vorher vom Staat übernommen wurden, jetzt von einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure getragen.
Gleichzeitig haben wir gerade auf europäischer Ebene aufgrund vieler europäischer Direktiven die Pflicht zur Beteiligung. Bürgerbeteiligung funktioniert also nicht immer ganz freiwillig, sondern ist bei bestimmten Projektvorhaben bereits vorgeschrieben. Somit existieren einerseits Beteiligungsformen, die wir machen müssen, weil sie gesetzlich vorgeschrieben sind, andererseits gibt es aber auch Beteiligungsformen, die wir machen können, weil sie auf Freiwilligkeit basieren – beziehungsweise auch auf Unfreiwilligkeit, wenn Politik oder Verwaltung in einem bestimmten Fall gar nicht wollen, dass alle Leute mitreden. Dies ist ein weites und keinesfalls triviales Spannungsfeld, in dem die Rahmenbedingungen jeweils sehr unterschiedlich sein können.
Für Bürgerbeteiligung wird oftmals das Argument der Demokratisierung von Entscheidungen gebracht, woran sich die Frage anschließt, was Beteiligung eigentlich für unser Demokratieverständnis bedeutet. Ein anderes Argument ist die Legitimation von Entscheidungen durch die intensive Beteiligung der Betroffenen. Hierbei herrscht die Vorstellung, dass die politische Legitimation nicht mehr ausreiche und daher weitere Legitimierungsformen gesucht werden müssten. Pragmatischere Argumente betreffen die Verbesserung von Entscheidungen, zum Beispiel wenn es um eine Stadtplatzveränderung geht. Hier werden die Menschen, die vor Ort wohnen und lokales Wissen und Know-how mitbringen, in die Umgestaltungspläne einbezogen, sodass im besten Fall eine Win-win-Situation entsteht.
Wer sind die Bürgerinnen und Bürger?
Bürger sind nicht gleich Bürger. Auch Bürgerinnen und Bürger können untereinander sehr konfliktträchtige und gegensätzliche Partikularinteressen vertreten. Das Gleiche gilt natürlich auch für die Verwaltung oder die Politik. Der Umgang mit und die Umsetzung von Beteiligungsverfahren kann innerhalb der Verwaltungen aufgrund unterschiedlicher und konfliktreicher Themen sehr verschieden sein. Es ist also immer genau darauf zu schauen, wer beteiligen will, wer beteiligt wird und von welchem Beteiligungsprozess überhaupt die Rede ist. Geht es eher um eine Zukunftsvision oder um ein ganz konkretes Projekt?
Hier löst sich das Gegensatzpaar „Verwaltung vs. Bürger“ bereits auf. Diese Seiten existieren nicht in derartiger Reinform, oftmals sind es nicht einmal Konfliktparteien. Häufig sind auch die Ansprüche einzelner Bürgerinnen und Bürger der Konfliktherd bzw. Inhalt der Beteiligung. Zudem entscheidet die Verwaltung nicht alles im Alleingang, sondern hat die Aufgabe, gemeinsam mit der Politik das Gemeinwohl zu vertreten. Somit sind diese diametralen Standpunkte – auf der einen Seite die Bürgerinnen und Bürger, auf der anderen Seite die Verwaltung und die Politik – in der Regel nicht so klar ausgeprägt, sondern sehr viel differenzierter. Dies sollte bei Bürgerbeteiligungsprozessen immer mitgedacht werden.
Darüber hinaus ist auch immer zu fragen, wer in einer Stadtgesellschaft überhaupt aktiv wird und welche Vorstellungen sich am Ende durchsetzen. Stichwort: Diversität. Beteiligt sich eher die Frau, die ich morgens beim Brötchen holen im Bäcker treffe, oder auch die Bäckereifachverkäuferin, die bereits um zwei Uhr nachts aufgestanden ist und am Abend eventuell keine Lust und Energie mehr hat, sich noch eine Veranstaltung zur Bürgerbeteiligung anzuhören? Dies sind wichtige Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Ebenso wichtig ist die Frage, wer sich nicht beteiligt oder wie die kommenden Generationen, die zukünftig in unserer Stadt leben müssen, involviert werden können. Am Ende stehen dann noch die eigenen Vorstellungen: Wie stelle ich mir meine Stadt vor? Sind meine Vorstellungen mit denen anderer Menschen deckungsgleich? Wo sind die Grenzen unserer Toleranz?
Was steht eigentlich zur Debatte?
Die Schwierigkeit an Beteiligungsverfahren besteht darin, dass sie auf allen Maßstabsebenen angewandt und durchgeführt werden können: Vom Aufstellen der Parkbank über konkrete Stadtteilprojekte bis hin zu relativ abstrakten Stadtentwicklungsprogrammen oder allgemeinen Visionen der zukünftigen Entwicklung. Diese Maßstabsebenen sind enorm wichtig, da es einen großen Unterschied im Beteiligungsprozess macht, ob ich über den Standort einer Bank oder die Leitlinien der zukünftigen Stadtentwicklung debattiere.
Daran anknüpfend geht es um die verschiedenen Rahmenbedingungen: Wo sind die zur Diskussion stehenden Handlungsspielräume? Ist die Nullvariante auch Bestandteil der Diskussion oder sind lediglich Maß und Ausprägung eines Projekts zu verhandeln? Die Handlungs- und Verhandlungsspielräume müssen offen und transparent dargestellt werden, damit gemeinsame Lernprozesse von derselben Basis ausgehen können und die Grundvoraussetzungen klar sind. Denn eine Bürgerbeteiligung im Rahmen der Stadtplatzgestaltung ist grundsätzlich anders anzugehen als ein sehr konfliktreiches Thema, bei dem es eigentlich kaum Handlungsspielräume gibt.
Wie wird beteiligt?
In der Literatur findet man Beteiligung oftmals als Form der Partizipation, beispielsweise in Arnsteins „Leiter der Partizipation“, die – von unten nach oben aufsteigend – bei der (Bürger-)Information beginnt, also Informationstreffen, zu denen die Bürgerinnen und Bürger eingeladen werden und auf denen die Stadt bzw. die Politik über Vorhaben und Projekte informiert. Schon diese Information zählt – zumindest in der Fachliteratur – zu den Partizipationsverfahren. Anschließend geht es um konkrete Beteiligung: vom Dialog, dem Anhören und Erörtern, über die gemeinsame Beratung eines Sachverhalts bis hin zur Partnerschaft, in der die Beratung und Entscheidung eine gemeinsame Aufgabe aller Beteiligten ist.
Beteiligungsverfahren basieren darauf, dass alle Informationen zusammengetragen werden, es am Ende jedoch einen Akteur gibt, der schlussendlich entscheidet. Dieser Prozess der Abwägung beinhaltet die Berücksichtigung aller Belange im Sinne einer Win-win-Situation, obwohl Entscheidungen auch gegen einzelne Stimmen der Bürgerinnen und Bürger getroffen werden können. So steht am Ende oftmals der Kompromiss: eine Entscheidung unter Abwägung der unterschiedlichen Ansprüche.
Darüber hinaus betrifft die Frage nach dem „Wie“ auch die Organisation des Prozesses, die Methoden und Verfahren. In fast jeder Stadt findet man Bürgerbeteiligungen zu ganz unterschiedlichen Themen. Sie alle verwenden unterschiedliche Verfahren und die vielfältigsten Methoden. Je nach Grundvoraussetzung muss der Prozess entwickelt und angepasst werden und erhält dadurch häufig eine lokalspezifische Prägung.
Partizipation ist also kein Selbstzweck. Viele Verwaltungen denken, sie müssten beteiligen, weil dies en vogue sei und gemacht werden müsse. Doch ein Mehr an Beteiligung bedeutet nicht immer auch ein Mehr an Qualität. Jeder einzelne Beteiligungsprozess muss durchdacht und detailliert gestaltet werden. Nur von Beteiligung zu sprechen, genügt nicht.
Gute Beteiligung ist schwierig
Gesellschaftliche Teilhabe ist immer eine Verbesserung der Mitbestimmungsmöglichkeiten über politische Wahlen hinaus. Sie ermöglicht Transparenz und eine hohe, umfassende Legitimation der Ergebnisse, einen breiten gesellschaftlichen Konsens, eine Akzeptanz und eine höhere Umsetzungsbereitschaft der Ergebnisse. Dennoch muss irgendwie gewährleistet sein, dass diese Beteiligungsprozesse auch an politische oder private Entscheidungsstrukturen angebunden sind. Hier greift das sogenannte Beteiligungsdilemma: Die Forderung einer möglichst frühzeitigen und umfassenden Einbeziehung aller Betroffenen korreliert häufig mit der Wahrnehmung der negativen Folgen der Planung und dem einhergehenden Problemdruck.
Das heißt: Zu Beginn der Planungen sind die Möglichkeiten der Einflussnahme noch sehr hoch. Pläne werden vorbereitet und Leitlinien erstellt. Diese Pläne müssen allerdings auch gelesen werden können. Die Anzahl der Menschen, die sich damit beschäftigen könnten, ist naturgemäß aber eher gering. Im weiteren Projektverlauf nehmen die Möglichkeiten der Einflussnahme dann immer weiter ab, da gewisse Entscheidungen bereits getroffen worden sind und die Handlungsspielräume sich verengen. Gleichzeitig ist das Engagement und Interesse der betroffenen Gruppen zu Beginn eines Projektes oft noch sehr niedrig, auch weil die Betroffenen lange Zeit gar nicht wissen, dass sie betroffen sind. Erst wenn plötzlich die Bagger vor der Tür stehen, wächst der Widerstand.
Das ist das Beteiligungsdilemma, vor dem wir stehen. In der Schweiz beispielsweise müssen die Bauträger Fassaden in Originalgröße des geplanten Projektes aufziehen, bevor wirklich gebaut wird, um deutlich zu machen, wie der Bau aussehen soll. So können die Dimensionen der Projekte von allen Betroffenen rechtzeitig wahrgenommen und negative Folgen individuell abgeschätzt werden.
Ein Update für Demokratie?
Bürgerbeteiligung bringt auch verschiedene Konflikte mit sich: strukturelle Probleme sozialer Ungleichheit, also das eine repräsentative Einbindung aller Bevölkerungsschichten nicht zu erreichen ist, Instrumentalisierung der Öffentlichkeit im Sinne eines Frühwarnsystems oder Beteiligung als taktisches Manöver politischer Entscheidungsunfähigkeit. Zudem sind Beteiligungsprozesse sehr kostenintensiv.
Die entscheidende Frage ist, in welcher Demokratie wir leben wollen: In einer direkten Demokratie, in der sich jeder wirklich einbringen muss, kann und soll? In einer repräsentativen Demokratie, in der wir Menschen wählen, die uns diese Entscheidungen abnehmen? Oder in einer partizipatorischen Demokratie, in der einzelne, repräsentativ ausgewählte Bürgergruppen in den Entscheidungsgremien sitzen, die dann mitentscheiden dürfen? Und was bedeutet dies für unser Demokratieverständnis? Sehen wir Beteiligungsverfahren als eine pädagogische Aufgabe zum Erlernen von Demokratie? Ist dann eigentlich allen klar, dass sie dieses Mitbestimmungsrecht haben und auch nutzen sollen bzw. müssen, um eine gewisse Beteiligungskultur zu etablieren? Und gibt es dann eigentlich einen Zwang, zu allem immer eine Meinung haben zu müssen? Ist es nicht auch legitim, abends auf dem Sofa zu sitzen, die Beine hochzulegen und nicht noch auf der 13. Bürgerbeteiligungsversammlung seine Stimme zu erheben?
Letztendlich ist es schön, wenn man alle mitnehmen und für jede Zielgruppe Veranstaltungen anbieten kann. Gleichzeitig gibt es aber auch Menschen, die beispielsweise mehrere Jobs haben, um sich zu finanzieren, oder neben Kindern und Beruf keine Zeit finden, um sich zu engagieren. Ist es dann nicht Aufgabe der Verwaltung und der Politik, auch an diese Menschen zu denken und deren Belange einzubringen, ohne dass sie persönlich an allen Beteiligungsverfahren teilnehmen müssen?
Für jeden ist etwas anderes gut
Selbst wenn wir die gleichen Wörter benutzen, selbst wenn wir denken, dass wir von derselben Sache reden, assoziiert doch jeder etwas anderes. Gerade deshalb ist es enorm wichtig, explizit zu machen, wovon man redet.
Was eine gute Beteiligung ausmacht, lässt sich jedoch nur schwer definieren. Hierfür gibt es keine allgemeingültige Antwort. Umgekehrt lässt sich aber feststellen, was eine schlechte Bürgerbeteiligung ausmacht, beispielsweise wenn potenziell Betroffene sich nicht beteiligen können oder deren Belange nicht berücksichtigt werden, wenn der politische Wille oder die Unterstützung fehlt, wenn es keinen Gestaltungsspielraum gibt, es nicht gelingt, soziale Schieflagen zu vermeiden, oder eine dauerhafte Pattsituation gegeben ist.
Eine gute Bürgerbeteiligung birgt also einige Stolpersteine: beispielsweise eine mangelhafte Vorbereitung des Prozesses, eine unklare Definition des Gegenstandes, eine falsche Beteiligungsebene, eine unzureichende Einbeziehung der Betroffenen, ein unklarer Umgang mit den Ergebnissen, fehlende Informationen oder unvollständige Vermittlung oder die Nichterfüllung zuvor geweckter Erwartungen. Mit einer guten Planung und Vorbereitung kann man diese Stolpersteine aber umgehen. Vielleicht können diese Punkte dabei helfen, eine gute Bürgerbeteiligung zu etablieren, und keine, die letztlich nur gut gemeint war.
Der Text basiert auf einem Vortrag bei der Tagung „Wie geht eigentlich gute BürgerInnenbeteiligung“ der Stiftung Leben und Umwelt – Heinrich-Böll-Stiftung Niedersachsen am 15. Juli 2015.
2 Kommentare
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28. Januar 2016
Franzi Steiner
Ich finde es ein wenig befremdlich, wenn man unter Bürgerbeteiligung ausschließlich die Teilnahme an Veranstaltungen versteht. Was ist denn mit denen, die keine Zeit haben diese Veranstaltungen zu besuchen aber sich trotzdem beteiligen wollen? Die gucken wieder in die Röhre.
Denkt doch Bürgerbeteiligung einfach mal moderner. Ich weiß, das fällt schwer, aber Bürgerbeteiligung lebt von der Beteiligung aller Gesellschaftsschichten, nicht nur die die gerade Zeit hat. Jugendliche z.B. sehe ich auf solchen Veranstaltungen.
Und wenn ich ad hoc eine gute Idee habe, muss ich wieder warten, bis ich sie bei der nächsten Veranstaltung einbringen kann. Da bringen auch neue Begriffe wie Community Building nichts, da muss schon 2.0 mit drin sein.
Dafür braucht es neue Systeme und Methoden.
1. Februar 2016
Christine Schwarz
Liebe Franzi Steiner,
fast ganz Ihrer Meinung: Dialog ist nicht immer schon gleich Mitwirkung, weshalb man und frau skeptisch bleiben sollten, wenn sie oder er "Beteiligung" hört.
Dass man auf den Dialogveranstaltungen selten sog. Randgruppen trifft, da können wir auch nur zustimmen. In fast allen Beteiligungsprozessen gibt es sehr viel Mühe, um diese Mittelschichtsdominanz zu komprimieren: sei es die aufsuchende Bürgerbeteiligung, die Dezentralisierung, das Quartiersmanagement.
Diese Hürden werden - besonders leider auch von den Medien - herangezogen, das noch immer kleine Kind "Bürgerbeteiligung" mit dem Bade auszuschütten.
Was natürlich eine besonders vornehme Art der Problemlösung darstellt ;-)
Etwas anderer Ansicht bin ich bei 2.0: Sicher, die Online-Möglichkeiten sind noch im Experimentierstadium. Vor allem ist zu kritisieren, dass die Techniken nicht responsiv genug, also auch mit Antworten reagierend sind. Online-Verfahren bleiben aus meiner Sicht eine parallel Begleitveranstaltung. Wir treffen in den Veranstaltungen ziemlich viele sehr engagierte Senior/innen, die froh sind, wenn sie auch offline genau so laut gehört werden wie online. Beides zusammen hält auf jeden Fall besser, macht den Stadtverwaltungen aber auch mehr als doppelt so viel Arbeit.
Umso besser, dass Verwaltung und Politik Mitwirkungsmöglichkeiten trotzdem vorantreiben.