Regieren ist mehr, als ein Programm abzuarbeiten

Regieren ist mehr, als ein Programm abzuarbeiten

Robert Bücking — Bildnachweise

Bürgerbeteiligung kann breite Kräfte mobilisieren. Idealisierung ist dabei nicht angebracht. Ebenso wenig die Herabsetzung rechtsstaatlicher und repräsentativer Formen der Demokratie.

Der Geist ist aus der Flasche. Den bekommt man da auch nicht wieder rein. Bürgerinnen und Bürger wollen mitreden, machen sich schlau, machen Druck, definieren ihre Ziele und Interessen – nicht flächendeckend, aber doch an allen Ecken und Enden der Stadt. Sieht man sich die einzelnen Konflikte und Projekte genauer an, sind die Befunde sehr unterschiedlich. Es gibt erstaunlich konstruktive und anspruchsvolle Prozesse, die allen Beteiligten Mut machen und das Vertrauen in kommunales Engagement stärken; und es gibt elende Quälnummern mit verhärteten Fronten und endlos verschleppten Entscheidungen. Frustrierte Verwaltung, frustrierte Bürgerinnen und Bürger, ratlose Politik und am Ende den Gang vor die Gerichte.

Deshalb ist es überfällig, über die Erfolgsbedingungen von Bürgerbeteiligung nachzudenken. Wo kann sie funktionieren und wo nicht? Und wie lassen sich die Beziehungen zwischen den informellen Verfahren der Bürgerbeteiligung und den rechtstattlichen Verfahren der repräsentativen Demokratie gestalten. Die Sache ist anspruchsvoll und hat Tiefgang.

Am Anfang dieser Debatte wäre es hilfreich, mit dem Unsinn aufzuhören, der Bürgerbeteiligung zur echten Demokratie idealisiert und die rechtsstaatlichen wie repräsentativen Formen der Demokratie mit populistischen Klischees herabsetzt. Werden die Dinge so gegenübergestellt, ist die nächste Enttäuschung gerade für die Befürworterinnen und Befürworter von mehr Demokratie nicht fern.

Die Stadt (und Gesellschaft) ist komplex, Konflikte sind konstitutiv, Interessen stehen gegeneinander, Zukunft ist unübersichtlich und muss ausgehandelt werden. Niemand kann per se auf der Ebene des Ganzen handeln. Das ist alles banal und wird doch dauernd vergessen. Man ist also nicht allein auf der Welt, und die Anderen sind eine Voraussetzung des Ganzen, so wie man selbst. Feinderklärungen und hermetische Botschaften sind vergiftete Brunnen und schlechte Energiespender.

Regieren ist mehr, als ein Programm abzuarbeiten

Repräsentative Demokratie, Verfassung, Rechtsstaatlichkeit, Abstimmung, Mehrheitsprinzip, Minderheitenschutz – darin steckt Weisheit und Erfahrung, hinter die besser Keiner zurück will. Es ist weder sinnvoll, noch möglich, die Komplexität unserer Gesellschaft zurückzunehmen und zur Markplatzdemokratie der griechischen Polis zurückzukehren. Es macht also wenig Sinn, von diesem Ideal den Maßstab auszuborgen, an dem wir unsere Demokratie messen.

Die rechtsstaatliche, repräsentative Demokratie mit allem Drum und Dran ist unserer komplexen Welt angemessen. Sie hat viel mit dem historisch gewachsenen Wissen der Bürgerinnen und Bürger zu tun und lässt sich mit Blick in die Geschichte oder nach Moskau, Peking und Damaskus auch immer wieder gut begründen.

Parteien sind Organe der politischen Willensbildung, heißt es im Grundgesetz. Und obwohl sich da leicht die Nase rümpfen lässt, sind sie es. Da die Parteien zu Koalitionen gezwungen werden, das Regierungsprogramm dementsprechend ein Kompromiss zwischen unterschiedlichen Parteien, Personen und Programmen ist, und weil sich im Verlauf einer Wahlperiode regelmäßig Fragen stellen, auf die sich im Koalitionsvertrag keine Antwort findet, lassen sich die Erwartungen der Wählerschaft und die Ergebnisse der verantwortlichen Politik nicht leicht zur Deckung bringen. Das mag ein Mangel sein, der aber unvermeidlich ist.

Regieren ist mehr, als den Aufgabenzettel des Programms abzuarbeiten. Wer regiert, übernimmt Verantwortung und muss führen und entscheiden, den Nutzen des Gemeinwesens mehren, Schaden abwenden usw. Und die Bürgerinnen und Bürger, die ja täglich Zeugen der Komplexität unserer kleinen Welt sind, schätzen es in der Regel, wenn das Regierungshandeln ordentlich begründet wird.

Wenn die Regierungsparteien es übertreiben, müssen sie abgewählt werden – so banal, so richtig. Selbstbewusstes Regieren ist kein Gegensatz zu Bürgerbeteiligung. Es ist vielmehr eine Voraussetzung dafür, dass sie ihren Ort und Gegenstand findet und am Ende gelingt. Bürgerbeteiligung ist ein demokratisches Mittel, das helfen kann, das Wissen und die Erfahrungen der Bürgerinnen und Bürger für Planung und Entscheidung in der komplexen Umgebung der Stadt zu mobilisieren. Und das macht die Ergebnisse im besten Fall schlauer und auch akzeptabler.

Der Bahnhofsplatz und das Hulsberg-Quartier

Bürgerbeteiligung kann für das Gemeinwesen Kräfte mobilisieren, die auf keinem anderen Weg gewonnen werden können. Die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern ist keine Konzession und keine Gnade der Politik; sie sollte ein selbstverständliches Element unserer demokratischen Kultur werden. Bremen ist als Stadtstaat ein gutes Pflaster, um eine großstädtische demokratische Kultur der Bürgerbeteiligung zu gestalten.

Am Ende steht aber immer die Entscheidung der gewählten Politikerinnen und Politiker. Auf diesem Feld müssen auch Senat und Bürgerschaft bestehen. Um die Sache ein bisschen zuzuspitzen: In einem längeren Planungsdialog haben sich die zuständigen Gremien und Verwaltungen auf eine bestimmte Lösung für den Wunsch nach neuen Flächen für den Innenstadteinzelhandel am Ansgaritor geeinigt. Das kann man gut finden oder schlecht.

Dass man das Thema jedoch einer Bürgerbeteiligung unterwirft, ist im besten Fall gutgemeinter Blödsinn. Wer soll denn da bitte schön beteiligt werden? Die Nachbarn? Die Bürgerinnen und Bürger, die sich für die Innenstadt interessieren? Die Kundschaft von näher dran oder die Kundschaft von weiter weg? Die konkurrierenden Einzelhandelsstandorte? Hier hilft keine Bürgerbeteiligung. Hier müssen die gewählten Politikerinnen und Politiker ran und nach einer gründlichen Debatte und einem Dialog mit Expertinnen und Experten sowie der Stadtöffentlichkeit eine möglichst kluge Entscheidung fällen. Dieser Dialog muss sorgfältig und überzeugend organisiert werden, sonst nimmt einem das die Stadtgesellschaft übel. Das Ganze sollte aber nicht mit Bürgerbeteiligung verwechselt werden.

So ähnlich stellte sich die Sache bei einem Bauvorhaben am Bahnhofsplatz dar. Die Grundsatzentscheidung über eine Bebauung der Fläche war durch die Verabschiedung eines Ortsgesetzes gefallen. Die Grundzüge der Architektur wurden durch einen Wettbewerb gefunden. Endlich gab es einen Investor, der dieses Vorhaben ernsthaft verwirklichen wollte. Anschließend ging es um Details; um wichtige Details, die in zwei großen öffentlichen Beiratssitzungen ausführlich diskutiert wurden. Dieser Dialog mit der Öffentlichkeit der Stadt war streitbar, aber fruchtbar. Die Beiräte haben eine sehr verantwortungsbewusste Haltung eingenommen. Ihre Beschlüsse sind in die Überarbeitung der Pläne eingeflossen. Bürgerbeteiligung sollte nicht die Ergebnisse von städtebaulichen Wettbewerben korrigieren – das wäre ein Rückschritt.

Ganz anders stellt sich die Frage nach der Bürgerbeteiligung beim neuen Hulsberg-Quartier auf den Flächen, die jetzt noch vom Klinikum Mitte genutzt werden. Die Bürgerschaft hat beschlossen, hier einen großen Bürgerbeteiligungsprozess über mehrere Jahre zu organisieren. Es wurde eine städtische Entwicklungsgesellschaft für die Grundstücke gegründet, und in einem klug aufeinander abgestimmten Dialog zwischen Expertinnen, Experten, Bürgerinnen und Bürgern wird die komplexe Planungsaufgabe jetzt bearbeitet. Wir wissen noch nicht, wie gut dieser Beteiligungsprozess mit den unvermeidlich kontroversen Entscheidungen fertig wird – ob er in die Krise gerät, möglicherweise ermüdet oder robust genug ist, um die Herausforderungen zu meistern.

Wer muss sich einigen, damit ein Kompromiss überzeugt?

Mit diesem Beteiligungsverfahren geraten wir an den äußersten Rand dessen, was man mit Bürgerbeteiligung erreichen kann. Damit das gut ausgeht, braucht man mindestens zwei Zutaten. Bürgerinnen und Bürger, die sich über einen langen Zeitraum auf die Sache einlassen, und eine Administration und Politik, die in diesem Prozess ein faires transparentes und klares Gegenüber ist – und das über einen langen, minutiös dokumentierten Zeitraum. Wenn es uns gemeinsam gelingt, dort schließlich ein Quartier zu organisieren, das besser ist als das Übliche, dann wäre das ein wunderbarer Beleg dafür, dass sich Bürgerbeteiligung lohnt.

Selbstverständlich wirken alle diese Auseinandersetzungen auf das formelle politische System: Abgeordnete greifen die Themen auf, die Opposition nimmt sich der Sache an, Expertinnen und Experten bieten ihren Rat an, zukünftige Wählerstimmen werden gezählt usw. Die Sache beginnt damit, sich einen fairen Überblick über die von einem Konflikt oder einem Projekt Betroffenen und ihre Interessen zu verschaffen sowie zu prüfen, wie die damit verbundenen Zielkonflikte in den Beteiligungsprozess integriert werden können. Anschließend stellt sich die Frage nach den Ressourcen. Am schönsten sind bekanntlich die Kompromisse auf Kosten Dritter. Kompromisse, die nur über einen tiefen Griff in die Staatskasse ermöglicht werden, wird es in Zukunft immer seltener geben können. Es geht also darum herauszufinden, wer sich einigen muss, damit ein Kompromiss überzeugt.

Zudem ist es hilfreich, einen Prozess zu gestalten, in dem Bürgerinnen und Bürger selbstbewusst den Rat von Expertinnen und Experten nutzen. Dabei ist unverzichtbar, dass die letztentscheidende Instanz sich sehr klar positioniert und deutlich macht, was für sie unverzichtbare Bestandteile einer tragfähigen Lösung sind. Bürgerinnen und Bürger sowie die Politik müssen jeweils sehr verantwortlich klären, ob ein Thema für eine Bürgerbeteiligung zugänglich ist, oder eben auch nicht.

Es ist weder demokratisch noch verantwortlich, die Dinge im Ungefähren zu lassen und am Ende in einem Durcheinander von Enttäuschungen und Blockaden hängen zu bleiben. Die verantwortliche Politik sowie die Bürgerinnen und Bürger haben mehr davon, wenn wir sukzessive Qualitätskriterien und Regeln auch für die informellen Formen der Demokratie erfinden und erproben. Im Idealfall gelingt es uns dann, über einen längeren Zeitraum, über gute und schlechte, aber auf jeden Fall über gründlich ausgewertete Beispiele eine Kultur der Bürgerbeteiligung in Bremen zu etablieren. Das dauert ein bisschen, lohnt sich aber. Die Bürgerinnen und Bürger lassen sich sowieso nicht mehr nach Hause schicken.

Ursprünglich veröffentlicht auf gruene-bremen.de (PDF).

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Andrej Bahro

Bei diesen Bürgerbeteiligungsverfahren soll man sich lange "einlassen". Um dabei Kosmetik zu erreichen. Grundsätzlich könnte man die Bürger von sich aus besser aufklären aus Politik. Und dann bitte Sachverstand in die eigenen politischen Reihen einbetten. Und das sind heutzutage immer Technologiefragen und keine Lifestylefragen. Das schöne brauchen wir nicht machen, wenn es in 2 Generationen vorbei ist. Die Grünen besetzen Räume mit Scheinthemen. Und fühlen sich wohl im Sachzwang der Verwaltung, statt Forderungen zu stellen, Projekte zu finanzieren und die Dinge in Maßstäbe der Messbarkeit und Erkennbarkeit zu überführen. Um Multiplikatoren zu gewinnen durch Ergebnisse. Mich interessiert keine Partei die 30 Jahre keine einzige sinnhafte praktische ökologische Schraube gedreht hat, die nicht nur Kompensation war. Und wehe die kommen mit mit Offshorehafen und Windmühlen.