Energiepolitische Ernüchterung im vierten Jahr Grün-Rot

Energiepolitische Ernüchterung im vierten Jahr Grün-Rot

Anti-Atom-Kette: Ist in Baden-Württemberg eine Art Klimapakt zwischen Regierung und Bürger/innen entstanden? — Bildnachweise

In keinem anderen Bundesland hat die Regierung bei der Energiepolitik so intensiv das Bündnis mit den Bürger/innen gesucht wie in Baden-Württemberg. Doch bei Gegenwind vom Bund kann lokale Bürgerbeteiligung wenig ausrichten.

In Baden-Württemberg haben die Grünen an der Regierung die Energiewende von Anfang an nicht vorrangig als organisatorisch-technisches Problem betrachtet, sondern als eines der Kommunikation und aktiven Einbeziehung der Gesellschaft. In keinem anderen Bundesland hat die Regierung so intensiv das Gespräch und das Bündnis mit den Bürgerinnen und Bürgern gesucht – insbesondere im Bereich Klimawandel und Energiepolitik. Gute Gründe zu Handlungsmotiven zu machen, das war und ist das Ziel.

Ein Jahr vor der Landtagswahl im Frühjahr 2016 stehen nun die Fragen im Raum, ob tatsächlich eine Art Klimapakt zwischen Regierung sowie Bürgerinnen und Bürger entstanden ist, welche Bedeutung die Beteiligung der Bürgerschaft an politischen Prozessen hat und wie belastbar dieses Bündnis bei Rückschlägen ist, etwa durch das neue Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) der schwarz-roten Bundesregierung.

Aufbruch

Das 2013 verabschiedete Klimaschutzgesetz wurde flankiert durch ein bislang einmaliges Beteiligungsangebot, das den Bürgerinnen und Bürgern ernsthaften Einfluss auf politische Entscheidungen versprach. Entsprechend wurde mit der Bürger- und Öffentlichkeitsbeteiligung am integrierten Energie- und Klimaschutzkonzept (BEKO) modellhaft ein landesweites Partizipationsverfahren schrittweise durchgeführt. Letztlich war allen Beteiligten klar, dass zur Erreichung der Klimaziele – 25 Prozent Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2020, 90 Prozent bis 2050 – das Engagement der Bürgerinnen und Bürger unerlässlich ist. Denn dauerhaftes Energiesparen bringt eine Vielzahl kleiner Veränderungen im Alltag mit sich, die von jedem Einzelnen gewollt und vollzogen werden müssen.

Der BEKO-Prozess stellte 110 praktische Handlungsvorschläge zum Gelingen der Energiewende vor, die von allen fünf beteiligten Ministerien (Umwelt, Landwirtschaft, Innen, Wirtschaft, Verkehr) formuliert wurden. An Runden Tischen konnten die Bürgerinnen und Bürger diese Maßnahmen diskutieren, ergänzen, verändern, verwerfen oder so belassen, wie im ministeriellen Konzept formuliert. Das Interesse, sich an diesem partizipativen Prozess zu beteiligen, war groß.

Das Verfahren lief von Dezember 2012 bis April 2013 auf mehreren Ebenen. Interessierte konnten Kommentare und Vorschläge ins Online-Portal einstellen; 7.000 Menschen haben sich daran beteiligt. In jedem der vier Regierungsbezirke wurde ein Runder Tisch eingerichtet, an dem sich bis zu 35 Bürgerinnen und Bürger trafen. Zuvor waren sie durch einen Zufallsgenerator ausgewählt und dann telefonisch zur Teilnahme eingeladen worden.

Im Resultat folgten weit mehr ältere Menschen der Aufforderung als junge, und mehr Männer (75 Prozent) als Frauen. Die Bildung lag im oberen Segment. Migrantinnen und Migranten kamen wenige. “Der Lohn dieser Schieflage”, so Rainer Carius, Referent im Umweltministerium, der BEKO durchführte, “liegt in der Reinheit des Zufalls. Wir haben keine Gruppe nach unserem Gutdünken oder entsprechend der Zusammensetzung der Bevölkerung verändert.” So spiegelte die Zusammensetzung der Tische das Interesse in der Bürgerschaft wider, nicht aber die demografische Zusammensetzung im Land. Der Nachteil: Die stillen Menschen blieben außen vor.

Die vier Bürgertische tagten je zwei Mal und beschäftigten sich mit Maßnahmen im Bereich Stromversorgung, private Haushalte und Verkehr. Parallel tagten die Verbändetische. Ein weiterer Tisch war für Initiativbewerber vorgesehen, die vom Zufallsgenerator zwar nicht vorgeschlagen, aber dennoch teilnehmen wollten. 405 Personen meldeten sich dafür; wären alle angenommen worden, hätten 18 weitere Runde Tische eingerichtet werden müssen. Um die Balance zwischen Zufallsbürgern und Eigenbewerbern zu erhalten, blieb es jedoch bei zwei.

Unerwartet hoch war auch die Zahl der Empfehlungen: Über 1.000 Vorschläge wurden abgegeben, wie die 110 offiziellen Vorschläge umgesetzt, verändert oder gestrichen werden sollten. Die Einführung eines “Veggie-Days” wurde beispielsweise rundheraus abgelehnt. Um dem sachlichen Ton der Empfehlungen Gehör zu verschaffen, seien hier zwei Beispiele zitiert:

  1. Der Tisch empfiehlt der Landesregierung, grundsätzlich am Ausstieg festzuhalten. Kernenergie ist keine nachhaltige Technologie. Das Ausstiegsziel sollte extrem ehrgeizig verfolgt werden. Ein Desaster wie beim Berliner Flughafen, dass Pläne nicht eingehalten werden, ist zu vermeiden. (BT Karlsruhe)
  1. Der Tisch empfiehlt der Landesregierung, Vorschläge für Maßnahmen zu prüfen, um die Umlegung der Mieterhöhungen infolge energetischer Sanierungsmaßnahmen sozialverträglich zu gestalten. (BT Freiburg)

Die Vorschläge wurden von den befassten Ressorts und Abteilungen geprüft; Ablehnungen wurden begründet. Ein Viertel der Vorschläge konnte umgesetzt werden. Das Ergebnis der Prüfung und eine Kurzevaluation sind online einzusehen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der BEKO-Prozess ein guter Einstieg in landesweite Beteiligungsprozesse war, weil es hier – anders als bei der Diskussion um den Ausbau von Windkraftanlagen und Hochspannungsnetzen – keine Verlierer und keine Ängste vor eventuellen Nachteilen gab. Der BEKO-Prozess erregte Neugierde und war nicht von vornherein emotionalisiert. Bei nachträglichen Befragungen bewerteten 75 bis 80 Prozent der Teilnehmenden den Prozess als “sehr gut”. Viele begründeten dies mit “der Freude, an der Politik teilhaben zu können” und “der Fairness” des Argumentationsaustausches. “Die Kosten waren hoch, aber Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen, ist es wert”, fasste ein Teilnehmer zusammen. Ein Jahr später hatte sich bei einer erneuten Umfrage an dieser Bewertung nichts geändert.

Beim BEKO-Prozess wurde die Frage nach der Wiedereinführung der Atomkraft von einer sehr großen Mehrheit der Teilnehmenden ablehnend beschieden. Das lässt darauf schließen, dass die teilnehmenden Personen überwiegend Befürwortende der Energiewende waren und an deren konkreter Ausgestaltung beteiligt sein wollten. 7.000 Personen waren online involviert, 300 an den Runden Tischen: also 7.300 Multiplikatoren.

Der BEKO-Prozess stellte auch einen Testlauf für weitere Beteiligungsprozesse dar, etwa zu den Anpassungsstrategien des stattfindenden Klimawandels. Da eine Mehrheit von 84 Prozent Online-Beteiligungsformate als effiziente Form der Partizipation bewertete, kommen diese nun erneut zur Anwendung. Bei der Diskussion um die Anpassungsstrategien soll “ein Prozess angestoßen werden, der dazu beiträgt, die Verwundbarkeit des Landes zu mindern, die möglichen Klimafolgen und die dabei entstehenden Kosten zu senken und sich ergebende Chancen zu nutzen”. Über eine Online-Umfrage wird das Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger über die konkreten Auswirkungen der Klimaerwärmung abgefragt; einzelne Maßnahmen werden anschließend mit den Kommunen und Regionen konkret diskutiert und durchgeführt.

Bislang fehlte noch ein Umweltverwaltungsgesetz, das die Zusammenarbeit und die jeweiligen Kompetenzen von Bürgerschaft, Wirtschaft und Verwaltung grundsätzlich regelt. Am 1. Januar 2015 ist das “Gesetz zur Vereinheitlichung des Umweltverwaltungsrechts und zur Stärkung der Bürger- und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltbereich” nach einem knapp zweijährigen Partizipationsprozess, an dem u. a. die Wirtschaft sowie die Kommunal- und Umweltverbände beteiligt waren, in Kraft getreten. Dabei wurden die bisherigen, über verschiedene Landesgesetze verstreuten Regelungen in ein einziges Gesetz überführt.

Gesetzlich festgelegt ist nun, dass insbesondere bei Großvorhaben die “unverzichtbare öffentliche Diskussion noch in der Projektierungsphase stattfindet, also zu einem Zeitpunkt, wo sinnvolle Umplanungen noch ohne große Kosten und erheblichen Zeitaufwand möglich sind”, bemerkte Umweltminister Frank Untersteller. Dauerkonflikte und Fehlplanungen sollen damit vermieden werden. In der Bundesrepublik bislang einmalig sind die gesetzliche Verankerung von Umweltmediation und die Stärkung der Mitwirkungsrechte der Umweltverbände.

Ernüchterung

Bürgerbeteiligung bedeutet aber nicht nur Partizipation an politischen Entscheidungen, sondern auch konkrete Teilhabe an der Energieerzeugung – Photovoltaik auf dem eigenen Dach, Windkraftanlagen in Bürgerhand, Biogasanlagen auf dem Bauernhof, Energiegenossenschaften etc. Hier zeigen die Zahlen in den letzten Jahren ständig nach oben. Bundesweit befinden sich 47 Prozent der Erneuerbaren Energien in Bürgerhand, 12 Prozent gehören den großen Energieversorgern. Joachim Sautter, Leiter der Abteilung Grundsatzfragen Energiepolitik im Umweltministerium, erklärt dazu im Gespräch: “Wir halten viel von den kleinen Akteuren, wenn die nicht mehr im Spiel sind, schwindet der Spirit.” Für ihn bleibt “der Ausbau der Erneuerbaren Energien untrennbar mit der Dezentralisierung des Energiemarkts verknüpft” – und damit mit seiner Demokratisierung.

Allerdings schlägt dem Ausbau der Erneuerbaren Energien Gegenwind auf allen Ebenen entgegen – gerade auf der lokalen und regionalen: Hier hat sich ein lautstarker Widerstand von Bürgerinitiativen gegen Windräder entwickelt. Und die Bürgermeister, die oft aus einer anderen politischen Kultur kommen, sehen nicht ein, warum sie sich ausgerechnet für die Förderung der Windenergie anfeinden lassen sollten, da die Anlagen nur wenig Einnahmen für die Gemeinde erbringen, sofern sie nicht auf gemeindeeigenem Land stehen. Auf den Anhöhen befürchten Villenbesitzer, dass der Blick auf Windräder den Wert ihrer Grundstücke mindern könnte.

Dass Klima- und Naturschützer oft nicht mehr an einem Strang ziehen, erschwert das Weiterkommen zusätzlich. “Bürgerbeteiligung verlangsamt den Prozess”, sagt Joachim Sautter, “und da wir demnächst Landtagswahlen haben, sieht man hier und da an der Mimik die Haltung: Euch sitzen wir auch noch aus.” Andererseits: “Gerade wenn viel blockiert wird, muss die Bürgerbeteiligung ihre Kraft beweisen.” Bei Gegenwind kann Bürgerbeteiligung auf der lokalen Ebene die Dinge in Bewegung bringen, kommt dieser aber von der Bundesebene – wie das reformierte EEG-Gesetz vom 1.8.2014 –, hilft erst einmal keine Bürgerbeteiligung vor Ort.

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Rudolf K.

Dieser Beitrag hat leider das Prädikat "Thema verfehlt" verdient. Er geht völlig am Grundsatzproblem der "Energiewende" und der "Erneuerbaren" Energien (was ist an Wind und Sonne "erneuerbar?) vorbei. Welchen Sinn macht es,m wenn Bürger teuere Erzeuger von Zappelstrom errichten und betreiben, die nur dann "wirtschaftlich" sind, wenn sie hoch subventioniert werden, und die nur dann funktionieren, wenn 100% Backup in Form von Kohle- und Kernkraftwerken im Hintergrund laufen. Dass diese Anlagen wegen der Zwangseinspeisung des über Subventionen bereits finanzierten Stroms nicht mehr rentabel sind, dass niemand das Risiko des Neubaus neuer, effizienter Anlagen eingeht - das sind alles die Folgen der sogenannten "Demokratisierung" der Stromversorgung.
Hinzu kommt, dass die Profiteure der "Bürgerenergieanlagen" nicht die Bürger sind, sondern die Projektentwickler, die Anlagenbauer, die finanzierenden Banken. Die Bürger dagegen müssen trotz Subventionen erst einmal über einen Zeitraum von 12..15 Jahren (wenn es gut geht) den Invest abstottern, bevor sie an das Verdienen denken können.